Eine kurze Geschichte der Sakya Tradition

Die Sakya Tradition ist eine der vier Schulrichtungen des tibetischen Buddhismus.

Ihre Geschichte, die eigentlich erst im 11. Jahrhundert mit der Gründung des Sakya Klosters beginnt, ist eng mit der tibetischen Khön Familie verbunden. Diese Familie, von der es heißt, sie stamme von göttlichen Wesen des Form Bereiches ab, war bereits seit der Einführung des Buddhismus in Tibet sehr wichtig für die Verbreitung der Lehren. So wurde Khön Lui Wangpo bereits im 8. Jahrhundert, als einer der sieben ersten in Tibet ordinierten Mönche, Schüler des großen indischen Meisters Padmasambhava. Über die nächsten dreizehn Generationen war die Khön Familie eine wichtige Stütze für die frühe Verbreitung des Buddhismus in Tibet.

 

1073 war es schließlich Khön Könchog Gyalpo, der das Sakya Kloster, an einem sowohl von Padmasambhava, als auch vom großen Meister Atisha prophezeiten Platz im Südwesten Tibets, erbauen ließ und somit die Grundlage für die Sakya Tradition schuf. Er selbst hatte in Indien unter dem Übersetzer Drogmi studiert, der die neuen Tantras aus Indien nach Tibet gebrachte hatte und war somit Bewahrer der alten und neuen Überlieferungen.

 

Sein Sohn, Sachen Kunga Nyingpo, der „Große Sakyapa“ (1092–1158), und vier seiner Nachfahren, werden als die eigentlichen Gründer der Tradition angesehen. Sachen Kunga Nyingpo ist es zu verdanken, dass zahlreiche Lehren der Sutras, Tantras und mündlichen Überlieferungen gesammelt wurden, welche zur Grundlage für den Schriften Kanon der Sakyapas wurde.

 

Seine zwei Söhne, Lopön Sönam Tsemo (1142–1182) und Jetsün Drakpa Gyaltsen (1147–1216), waren die nächsten Linienhalter der Sakya Tradition und maßgeblich für deren Weiterentwicklung verantwortlich.

 

Der Neffe von Drakpa Gyaltsen war der berühmte Sakya Pandita Kunga Gyaltsen (1182–1251), dessen Ruhm weit über die Grenzen seines Landes hinausragten. Aufgrund seiner unübertroffenen Gelehrsamkeit in allen großen und kleineren klassischen indischen Wissensgebieten und seiner spirituellen Verwirklichung wurde er sogar an den Hof des mongolischen Großfürsten Godan Khan gerufen.

 

Sein Neffe Drogön Chögyal Phagpa (1235–1280) wurde vom Großkhan und Kaiser Chinas Kublai Khan zum Reichslehrer erklärt und bekam aus Dankbarkeit und Hingabe die dreizehn Provinzen Tibets zum Geschenk. So wurde Tibet unter einer einzigen spirituellen und politischen Autorität vereint. Dies stellte den Höhepunkt des weltlichen und spirituellen Einflusses der Sakya Tradition in Tibet dar.

Diese fünf Meister werden als die wichtigsten Gründerfiguren der Tradition verehrt und sind den Tibetern unter dem Begriff „Jetsün Gongma Nga“bekannt.

 

Traditioneller Weise ist das Oberhaupt der Sakya Schule, seit Könchog Gyalpo im 11. Jahrhundert, wenn möglich, stets ein Mitglied der Khön Familie gewesen. Diese Tradition besteht noch bis heute. Seine Heiligkeit der 41. Sakya Trizin, Ngawang Kunga Thegchen Palbar Trinley Samphel Wanggi Gyalpo, lebt heute mit seiner Familie in Dehra Dun, Nord Indien, im Exil und reist häufig in viele Länder der Welt, um die Lehren der Sakyapas aufrecht zu erhalten und zu verbreiten.

 

Die zwei wichtigsten Zweigschulen der Sakya Tradition sind die Ngor Tradition, unter der Leitung von Luding Khen Rinpoche in Manduwalla, Nord-Indien, und die Tsar Tradition, deren Oberhaupt Chogye Trichen Rinpoche in Katmandu, Nepal lebt. 

Die Lehren der Sakyapa

Eine Besonderheit und zugleich das Herz der Sakyapa Lehren stellt der sogenannte Lamdre Zyklus („Der Pfad und seine Frucht“) dar, der einen gesamten Weg zur Buddhaschaft enthält und ausschließlich in dieser Tradition gelehrt wird. Die Lehren des Lamdre basieren auf dem Hevajra Tantra und gehen auf den indischen Mahasiddha Virupa zurück. Sie wurden im 11. Jahrhundert vom Yogin Gayadhara, dem Lehrer von Drogmi dem Übersetzer, nach Tibet gebracht und setzen sich aus einem allgemeinen Sutra Teil, den „Drei Sichtweisen“, und einem esoterischen Tantra Teil, dem „dreifachen Tantra“, zusammen. Die besondere philosophische Sichtweise dieses Systems wird die „Nicht-Unterscheidung von Samsara und Nirvana“ genannt.

 

Im Allgemeinen folgt die Sakya Tradition den großen indischen Lehrmeistern in ihrer Darlegungen der Theorie und Praxis des buddhistischen Weges. Anhand von achtzehn wichtigen Werken werden die fünf großen Klassen der buddhistischen Philosophie und Praxis studiert. Diese fünf Wissensgebiete sind (1) Pramana [Erkenntnistheorie und Logik], (2) Madhyamaka [die Philosophie des „Mittleren Weges“], (3) Abhidharma [Phänomenologie und buddhistische „Psychologie“], (4) Prajñaparamita [der Weg zur Buddhaschaft und „die Vollendung der Weisheit“], und (5) Vinaya [monastische Disziplin und ethisches Verhalten]). Eine eigenständige Klasse innerhalb dieser 18 Werke bildet der Text „Die klare Unterscheidung der Drei Gelübde“ von Sakya Pandita.

 

Weitere wichtige und für diese Tradition spezifische Lehren auf dem Gebiet der Tantras sind die sogenannten „Dreizehn Goldenen Dharmas“, eine Sammlung von 13 verschiedenen tantrischen Praktiken, die unter anderem auch die Übertragung der wichtigen Vajrayogini Lehren von Mahasiddha Naropa enthalten.

 

Darüber hinaus bewahrt die Sakya Tradition auch noch sehr besondere Lehren und Praktiken über den Beschützer Mahakala, die von Vararuchi stammen, sowie eine Vajrakila Überlieferung von Padmasambhava und die Lehren des Guhyasamaja Tantra von Nagarjuna.

 

Die eben genannten Lehren stellen nur eine Auswahl der wichtigsten Lehren dar, die dank der Bemühungen der Begründer der Sakya Tradition in das spirituelle Leben Tibets aufgenommen werden konnten.

 

In Bezug auf die spirituelle Ausbildung legt die Sakya Tradition stets großen Wert auf ein Gleichgewicht von Studium (der Philosophie) und Praxis (der Meditation). Dieses Ideal, das von zahlreichen Lehrern der Vergangenheit, sowie der Gegenwart, verkörpert wird, verschaffte den Sakyapas den Ruf, eine Tradition von großen Gelehrten und erleuchteten Meistern zu sein.